Sieht so Pflege aus? – der reale Albtraum einer Angehörigen

Auf der Suche nach einer helfenden Hand.

Eine Pflegestation im Herzen von Berlin. Seit ein paar Monaten wohnt meine Mutter hier in einem kleinen, aber sehr schönen Zimmer. Mit ihr zusammen leben noch 25andere pflegebedürftige Personen auf dieser Station, ihrem neuen Zuhause. 

Zu Beginn des Jahres gab es dann die ersten Verdachtsfälle in Bezug auf Corona und schließlich wurde die gesamte Station für mehrere Wochen unter Quarantäne gestellt. Der einzige Weg Kontakt, aufzunehmen, ging nun über das Telefon und genau hierdurch wurde die prekäre Situation ans Licht gezerrt.  Meine Mutter, sie ist stark dement, kann natürlich keinen eigenen Anschluss bedienen und ist somit auf das Stationstelefon angewiesen. 

Eine Woche Mitte Februar:

Montag 

  • 10Uhr: -Anruf auf der Station, bis zum Ende durchklingeln, „der Teilnehmer meldet sich nicht, bitte …“… 
  • 11.15Uhr: Erneuter Anruf- eine mir unbekannte Pflegekraft bittet mich sich später noch einmal zu melden – er sei zur Aushilfe und heute den ersten Tag da – er sagt: „Ich kenne die einzelnen Bewohner noch gar nicht und bin gerade in der Versorgung. Die Zeit ist ungünstig, bitte rufen Sie heute Nachmittag noch einmal an.“
  • 15Uhr: Erneutes Durchklingeln, „der Teilnehmer meldet sich nicht“!
  • 18.30Uhr: Die Pflegekraft, mit der ich jetzt spreche, erklärt, es sei eine schlechte Zeit, sie muss Tabletten sortieren und außerdem hätte sie gleich Feierabend, ich sollte es doch morgen wieder probieren, tagsüber sei es immer besser.

Am Abend versuche ich meinen Vater zu beruhigen. Für ihn wäre die Vorstellung äußerst belastend, dass ich meine Mutter, seine Frau, nicht erreichen konnte, und dass die Station anscheinend zu wenig Pflegekräfte zur Verfügung hat.  Nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal ein Gespräch, in dem man den Spagat zwischen Wahrheit und Optimismus finden muss.

Dienstag 

  • 9.30Uhr: Ein Anruf von der Pflegestation meiner Mutter,  in dem sie erklären, sie benötigen dringend noch weitere Kleidung für sie. Hierauf versichere ich der Dame am Telefon, ich hätte am Freitag davor eine große Tasche mit Schlafanzügen und Hausanzügen an der Rezeption abgegeben. Nach kurzer Verhandlung fand sich diese Tasche auch wirklich, jedoch ungeöffnet im Schwesternzimmer. Sie entschuldigte sich: „Wir sind ständig unterbesetzt und…“ Auf die Frage, ob ich jetzt kurz mit meiner Mutter sprechen könnte, war die Antwort: Das geht leider nicht, ich rufe vom Festnetz im Stationszimmer an.  Probieren Sie es bitte später auf dem mobilen Apparat, jetzt werden die Bewohner gerade in ihre Zimmer gebracht. 
  • 11Uhr: Nun ist es soweit, meine Mutter ist zwar ein wenig schläfrig, aber erkennt mich sofort, sogar am Telefon: „Ach wie schön, dass ich deine Stimme höre…, wo bin ich hier denn eigentlich?…, und wo wohnt ihr jetzt?… Aber du rufst doch heute Abend nochmal an, ich habe noch soviel zu erzählen…“
  • Nachmittags erhalte ich einen Anruf der Hausärztin, die bei ihrem Besuch feststellte, dass weder das richtige noch genügend Verbandsmaterial auf der Station vorhanden war. Sie ist mit der Pflege überhaupt nicht einverstanden und sehr verärgert, weder die Stationsleitung noch einen anderen stellvertretenden Verantwortlichen sprechen zu können. Extreme nekrotische Veränderungen am Fuß meiner Mutter, es sind schon 2 Zehen amputiert worden, verlangen eine sorgfältige und regelmäßige Wundversorgung, die ihrer Meinung nach nicht so stattfindet, wie es sein sollte. Sie schlägt vor, meine Mutter wieder in der gemeinsamen Wohnung meiner Eltern zu versorgen, was mein Vater aus psychischen und physischen Gründen nicht schaffen kann. Er ist stark gehbehindert und sogar in der Wohnung auf einen Rollator angewiesen. Außerdem kann die Ambulante Pflege, wie es sich in der Vergangenheit gezeigt hat, die Pflege meiner Mutter nicht leisten.  

Mittwoch

  • 9 Uhr: ich versuche mit der Stationsleitung Kontakt aufzunehmen, erfahre dabei aber, dass die zuständige Person für 3 Wochen in Urlaub ist und es momentan leider keine Vertretung gibt. 

Bei der Apotheke, die für die Versorgung von Medikamenten und Verbandsmaterial zuständig ist, erfahre ich, dass es leider Engpässe gibt, man sich aber bemühen würde, so schnell wie möglich zu liefern. Sie benötigten dafür aber bitte nochmal ein neues Rezept, da das alte noch vom Dezember sei und somit nicht mehr gültig.

An diesem Tag kann ich leider nichts mehr erreichen, da man entweder keine Verbindung bekommt oder jemand für mein Anliegen nicht zuständig ist.

In Gedanken sehe ich meine Mutter wieder im Krankenhaus, was bisweilen immer wieder als letzte Notlösung angesehen wurde. 

Donnerstag

  • 11Uhr: Wieder einmal konnte ich telefonisch niemand erreichen.
  • 13.30 Uhr: Eine wiederum neue Pflegekraft erklärte freundlich, aber kurz und sachlich: Entschuldigung, über den akuten Zustand einzelner Bewohner kann ich leider noch gar nichts sagen, „ich bin froh, wenn ich meine Arbeit hier heute schaffe. Am Morgen musste ich die beiden Leasing-Kräfte nach Hause schicken. Corona positiv. Ich bin mit 26 Bewohnern allein auf der Station.“

Die von mir hier geschilderte Situation, ist eine authentische und somit dramatische Darstellung, was im Pflegebereich momentan passiert. Viele Pflegerinnen und Pfleger, mit denen ich sprechen konnte, waren fast immer sehr hilfsbereit und freundlich. Dennoch war stets erkennbar, dass sie hauptsächlich aus Zeitmangel und einem zu geringen Personalschlüssel den Anforderungen nicht gerecht werden können.

Es ist traurig und sehr belastend, ansehen zu müssen, wie in einer solchen Situation durch die akute politische Lage, einem persönlich die Hände gebunden sind.  

Sieht so die Pflege und Fürsorge vulnerabler Gruppen aus?